Im Gespräch
Frauen, Ohnmacht, Macht - von Emma zu Emma
13.4.2019 / Von Klaus Zeyringer
Lou Lorenz-Dittlbacher und Dirk Kurbjuweit bei Transflair Der Saal war bis auf den letzten Platz voll. Der 67. Abend der Serie Transflair fand als Matinee des Festivals Literatur und Wein statt, mitreißend und ebenso spannend wie entspannend sprachen und lasen Lou Lorenz-Dittelbacher und Dirk Kurbjuweit.
Aus seinem Roman stammt eines der beiden Eingangszitate: "Sie habe viel über die Französische Revolution gelesen, fuhr Emma fort, aber interessiere irgendeinen Menschen, was eine Frau dazu zu sagen habe?" Und: "Wenn wir Frauen über diese Themen reden, sind es bestenfalls schöne Worte, bei den Männern ist es Politik."
Das zweite Eingangszitat steht im Buch von Lou Lorenz-Dittlbacher: "von 72 Landeshauptleuten seit 1945 waren erst drei weiblich, aktuell ist es eine einzige". Und: "wird es in zehn, fünfzehn Jahren noch genauso schwer und manchmal aussichtslos sein, in Männerdomänen vorzudringen?"
Dirk Kurbjuweits Sätze sind um 1848 angesiedelt; er hat über Emma Herwegh, die Ehefrau des Dichters und Revolutionärs Georg Herwegh, geschrieben. Lou Lorenz-Dittlbachers Buch ist 2018 erschienen; sie hat es zu verfassen begonnen, nachdem sie eines Abends ihrer Tochter Emma gesagt hatte, sie werde am nächsten Tag aufwachen und eine Frau werde Präsidentin der USA sein - und diese Aussage sich als falsch erwiesen hatte.
In diesen 160 Jahren ist wohl die Welt für Frauen in Europa offener, zugänglicher, freier geworden. Aber wie weit, inwieweit? Zum Studium wurden Frauen in Österreich und Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts zugelassen; das Wahlrecht erhielten sie 1918 (in Frankreich, dem Land der Revolution, erst 1944); das Familienrecht war in Österreich bis in die 1970er Jahre nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1812 geregelt, erst 1975 wurden gleiche Rechte und Pflichten der Eheleute festgeschrieben. Aktuell beträgt der Frauenanteil im Nationalrat 36 Prozent, im deutschen Bundestag 31 Prozent (das ist EU-Durchschnitt, der geringste Anteil besteht mit 10 Prozent in Ungarn) - bis 1986 lag er in beiden Parlamenten unter 10 Prozent. Bis heute hat es in Österreich keine Bundeskanzlerin, keine Bundespräsidentin gegeben.
Sehr geehrter Herr Lorenz
Die Transflair-Gäste dieser Matinee sind beide höchst renommierte Medienleute. Lou Lorenz-Dittlbacher war Journalistin für Standard, Kurier, Presse und ist seit zwanzig Jahren im ORF, wo sie die Nachrichtensendung ZIB2 moderiert. Laut eines Berichts in Der (!!) österreichische Journalist von 2011 habe ihr der nunmehrige Kollege Armin Wolf auf ihre Bewerbung geantwortet: "Sehr geehrter Herr Lorenz, schicken Sie mir das Band." Antwort: "Ich bin eine Frau, darf ich Ihnen trotzdem das Band schicken?"
Ihr 2018 erschienenes Buch Der Preis der Macht bringt mit verbindenden Passagen aufbereitete Gespräche mit acht österreichischen Politikerinnen: Gabi Burgstaller, Brigitte Ederer, Benita Ferrero-Waldner, Waltraud Klasnic, Ulrike Lunacek, Maria Rauch-Kallat, Susanne Riess und Heide Schmidt. Alle waren sie in Spitzenfunktionen tätig, schieden danach aus der Politik aus. Wesentliche Fragen dabei sind: Wie wird eine Frau zur Politikerin, wie funktioniert das Leben von Spitzenpolitikerinnen, wie gehen sie mit Siegen und Niederlagen um. Und: Definieren Frauen Macht anders als Männer? So lesen wir von acht Persönlichkeiten, acht Lebensgeschichten und der gemeinsamen Erfahrung, wie sehr Männer diese Frauen klein zu halten versuchten. Es ist Zeitgeschichte hinter den Kulissen.
Geschichte hinter den Kulissen erzählt Dirk Kurbjuweit in seinem Roman. Er war Redakteur bei der Zeit, seit zwanzig Jahren ist er beim Spiegel, lange als stellvertretender Chefredakteur. Für seine Reportagen erhielt er zweimal den Egon-Erwin-Kisch-Preis, 2012 den Deutschen Reporterpreis. Seit 1995 hat er eine Reihe von Romanen und Sachbüchern publiziert, etwa 2009 eines über Angela Merkel mit dem fragenden Untertitel Die Kanzlerin für alle? Fünf Jahre danach erschien Alternativlos - Merkel, die Deutschen und das Ende der Politik. Von seinen Romanen wurden einige verfilmt, als Hörspiel ist Kriegsbraut (2011) über eine junge deutsche Soldatin in Afghanistan adaptiert worden.
Politik für bürgerliche Frau nicht vorgehsehen
2017 publizierte Dirk Kurbjuweit den Roman Die Freiheit der Emma Herwegh. In den Jahren vor der Revolution 1848 zeigt Emma, die Tochter aus reichem Berliner Haus, ungemeines Interesse an der Politik, muss jedoch feststellen, dass Politik für eine bürgerliche Frau nicht vorgesehen sei. Dazu brauche sie einen Mann - es ist der für seine Freiheitsgedichte berühmte Georg Herwegh. Im Pariser Exil erlebt Emma allerdings, dass Revolutionäre Freiheit für die Männer, aber kaum für ihre Frauen vorsehen. Kurbjuweit schildert, historisch bestens recherchiert, eine starke Emma, die ihren Mann vom Schlachtfeld rettet. Sie unterstützt ihn auch noch als er sich in Natalie, die Frau seines Freundes Herzen, verliebt.
Zur Frage der Freiheit steht im Buch eine sehr interessante Passage über das berühmte Bild von Delacroix Die Freiheit führt das Volk: "wer stellt da die Freiheit dar: eine Frau. Die Frau stürmt voran, die anderen folgen. Später, später bestimmt, dachte Emma. Wenn sie starb bei diesem Feldzug, dann würde es schneller gehen. Wenn eine Frau im Kampf für die Freiheit starb, konnten die Männer die Freiheit nicht ohne die Frauen gestalten."
Emma Herwegh sei hochgebildet und hoch politisch gewesen, sagt Dirk Kurbjuweit, so verspürte sie ein Gefühl der Ohnmacht, da sie als Frau nichts bewirken konnte. Sie habe eine kluge, zugleich tragische Entscheidung getroffen: Sie sagte sich, wenn ich politisch wirken will, brauch ich einen politischen Mann.
Hillary Clinton großes Thema
Und wie ist heute die Situation für die neunjährige Emma in Wien? Für ihre Mutter Lou Lorenz-Dittlbacher war Hillary Clinton ein großes Thema, da sie ihrer Tochter habe mitgeben wollen, dass sich ein Mädchen Anfang des 21. Jahrhunderts nicht mehr damit aufhalten müsse, was für sie als Frau eines Tages möglich sei. Sie habe Emma an diesem Morgen sagen wollen: Ein Mädchen in deinem Alter kann deutsche Bundeskanzlerin, britische Premierministerin, US-Präsidentin werden. Letzteres ging sich, wie wir wissen, nicht aus, sodass sich die Frage stellte: Welchen Anteil daran hatte es, dass Hillary Clinton eine Frau ist?
Man habe damals oft gehört, sie sei krankhaft ehrgeizig - während vielen Politikern dies als "zielstrebig" positiv zugeschrieben werde. Ihre Tochter, sagt Lou Lorenz-Dittlbacher, habe auch die acht interviewten Frauen kennengelernt und die Parallele erlebt, dass diese acht Frauen ohne Männer nie vermocht hätten Karriere zu machen, da ausnahmslos alle einen Parteiobmann gehabt haben. Die Konstellation weiche sich im Moment ein bisschen auf, denn im Parlament sitzen drei Chefinnen von Parteien, allerdings von jenen der Opposition. Es sei kein Zufall, dass immer dann, wenn es gerade nicht so prickelnd oder nicht so attraktiv sei, die Frauen ran müssten. Heftiger Zwischenapplaus im Saal des Unabhängigen Literaturhauses Niederösterreich.
Für die kleine Emma hieß es, ein Mädchen wie sie könne deutsche Bundeskanzlerin werden. Im Buch von Lou Lorenz-Dittlbacher steht der Satz, dass es wohl in Deutschland Abiturienten und Abiturientinnen gebe, die sich gar nicht vorstellen können, dass das Land jemals von einem Mann regiert worden sei. Worin liegt denn der Unterschied zwischen Österreich und Deutschland?
Die Jungs gegen Merkel
"Angela Merkel wäre auch nicht Bundeskanzlerin geworden, wenn es damals ein Griss um den CDU-Vorsitz gegeben hätte", sagt Lou Lorenz-Dittlbacher. Es habe kaum wer geglaubt, dass sie es schaffe, gegen Gerhard Schröder zu gewinnen. "Sie konnte tatsächlich nur in einer historisch einmaligen Situation Bundeskanzlerin werden", sagt Dirk Kurbjuweit. Der Kampf um die Kandidatur, den er intensiv miterlebt habe, sei "dramatisch und ungemein schmutzig" gewesen. "Die Jungs in der CDU wollten nicht, dass diese Frau Bundeskanzlerin wird". In Hintergrundgesprächen habe es auf hässlichste Art geheißen: Wir sind eine christliche Partei, und die ist ja gar nicht Mutter, die ist geschieden.
Eine derart günstige historische Situation für den Aufstieg einer Frau zur Staatsspitze gab es bislang in Österreich nicht. Die günstigste, sagt Lou Lorenz-Dittlbacher, habe Frau Rendi-Wagner erwischt, und wie günstig das sei, sehe man jeden Tag. Starkes Gelächter im Publikum.
Die zweite Möglichkeit und deren besondere, wenig frauenfreundliche Umstände zeigt Der Preis der Macht im Kapitel über Susanne Riess-Passer, die einzige Vizekanzlerin, die Österreich je gehabt hat. Ulrike Lunacek, einzige Frau unter den Spitzenkandidaten bei den letzten Nationalratswahlen, erzählt ebenfalls, wie schwierig es gewesen sei, in einer Runde mit lauter Männern zu sitzen, in der ein männlicher Diskurs herrscht. Im Übrigen, sagt Lorenz-Dittlbacher, erlebe sie das auch in ihrem Beruf, auch unter Journalisten werde eine Frau anders wahrgenommen.
Deutschland weniger patriarchalisch?
Ob es in Deutschland etwas weniger patriarchalisch, konservativ zugehe? Kurbjuweit bejaht, ohne sich eine genaue Beurteilung Österreichs anmaßen zu wollen. Deutschland habe sich in den letzten Jahrzehnten liberalisiert, auch die CDU sei eher eine liberale Partei geworden und werde gerade von Frauen stark gewählt. Die Frage, ob Mann oder Frau an der Spitze, halte er für weitgehend, wenn auch nicht ganz gelöst. Lorenz-Dittlbacher bringt es auf den Punkt: Merkel sei ein Rollen-Modell, in Österreich hingegen gebe es das Wort "Bundeskanzlerin" gar nicht. Es sei hierzulande kaum Veränderung in Aussicht.
Darauf geht es auf dem Transflair-Podium in die Vergangenheit, zu den frühen Zeiten des weiblichen Kampfes um Freiheit und Gleichberechtigung. Wie Dirk Kurbjuweit darauf gekommen sei, über Emma Herwegh zu schreiben? "In Wahrheit, muss ich gestehen: über den Mann". Das Publikum lacht auf, dann folgt es gespannt der Lesung aus dem Roman.
Er habe, sagt Kurbjuweit danach, zuerst einen Roman über den faszinierenden Dichter Georg Herwegh schreiben wollen und habe festgestellt, dass Frauenschicksale eigentlich immer interessanter seien, da Männer es leichter hätten. Die Codes dieser Männerwelt beherrschten die Männer. Für die Frauen war das die andere Welt. Das mache Frauenschicksale so spannend, da sie ihre eigene Welt verlassen und sich in einer fremden Welt bewähren müssten. Umgekehrt habe es Georg Herwegh vernichtet, dass seine Frau ihn vom Schlachtfeld, aus dieser absoluten Männerwelt gerettet hat - Kurbjuweit erzählt diese Situation und ihre Vorgeschichte, im Roman gehört sie zu den ungemein eindringlichen Passagen.
Sie stellt die richtigen Fragen
Der Unterschied der beiden Bücher liegt im Genre. Ob der Romancier etwas gefunden oder erfunden hat, ist weniger wichtig, als dass es stimmig ist. Für den Preis der Macht ist das anders; allerdings gibt es hier eine Frage, die Heide Schmidt anspricht: Ob ihre Erinnerung stimme oder nicht. Lorenz-Dittlbacher hat das Format gewählt, weil es sich eben um die Erinnerung dieser acht Frauen handelt, "und ich versuche meiner Leserschaft Orientierung zu bieten, indem ich die Fakten erzähle". Sie tat, was sie in der ZIB2 macht: Sie stellte die richtigen Fragen. In den Gesprächen sei es möglich gewesen, sagt sie, in die Tiefe zu gehen. Besonders spannend fand sie, wie sehr Familiengeschichte und Kindheit die acht Frauen und ihre politische Arbeit geprägt haben.
Dazu liest Lou Lorenz-Dittlbacher zwei Beispiele, zudem kurze Passagen, die sie kommentiert. Ihre Bemerkungen fassen Gemeinsamkeiten zusammen und streichen Besonderheiten heraus. Sie erzählt so, dass die Arbeit am Buch nachvollziehbar und Der Preis der Macht plastisch deutlich wird.
Merkel definiert neu
Interessant erscheinen die Charakterisierungen und Zuordnungen. So sagt Gabi Burgstaller, wenn eine Frau auf den Tisch haut, ist das unsympathisch; wenn ein Mann auf den Tisch haut, ist er ein Held. Derartiges sei in Deutschland ebenfalls feststellbar, sagt Kurbjuweit. Genial aber habe Angela Merkel es geschafft, die Rolle der Bundeskanzlerin souverän zu definieren und cool Vorurteile über weibliches Verhalten zu kontern. Deswegen habe sie "diese Uniform" für sich erfunden, um keinen modischen Fragen zu begegnen. Es sei der größte Gefallen, den sie den Frauen getan habe, dass sie nunmehr auf dieses Rollen-Vorbild zurückgreifen könnten.
Ob es in Deutschland ein Buch wie jenes von Lorenz-Dittlbacher gebe? Nein, sagt Dirk Kurbjuweit, sondern neuerdings nach einem ähnlichen Konzept eines über alte weiße Männer. In einem Gespräch, das Der Spiegel mit drei Politikerinnen gemacht habe, sei es wie bei den österreichischen Kolleginnen oft um die Schwierigkeiten der Anfänge gegangen, sich gegen die Männer durchzusetzen. Männer hingegen erzählten eher Erfolgsgeschichten.
In einem seiner Artikel hat er sich 2007 einen G-8-Gipfel nur von Frauen in höchsten Positionen der jeweiligen Staaten vorgestellt, Titel Die Frauenrepublik. Ob es die einmal geben werde? "Die kann es geben, die interessantere Frage ist eher: Wird es dann anders sein?" Und die Zukunft der heute neunjährigen Emma? Lou Lorenz-Dittlbacher sagt:
Wir sollten dafür sorgen, dass unsere Töchter starke Frauen werden, die sich alles zutrauen.
Lou Lorenz-Dittlbacher
Dirk Kurbjuweit
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