Im Gespräch
Die große Kunst der "Kleinkunst"
31.1.2019 / Von Klaus Zeyringer
Leo Lukas und Christoph Simon bei Transflair über Satire, Kabarett, Komik

Jüngst erklärte Michael Haneke im Interview: "Wie stelle ich heute die Wirklichkeit unserer westlichen Luxusgesellschaft adäquat dar? Das Recht auf Drama haben wir schon lang verwirkt. Die Tragödie haben wir in die Dritte Welt evakuiert. Wir sind die Nutznießer davon und tun uns dabei auch noch selber leid." Sein Film Happy End sei "das Eingeständnis der Ratlosigkeit, heute in Europa anders zu erzählen als in Form der Farce". Aus der Schweiz kennen wir ähnliche Töne, allerdings waren sie schon 1955, im Kalten Krieg, zu hören, als Friedrich Dürrenmatt schrieb, uns und unserer Welt komme nur noch die Komödie bei.

Eine Farce ist eine Komödie mit extravaganten Situationen, possenhaften Einlagen, häufig kombiniert mit der Satire. Lauter Mittel des Kabaretts, interessanterweise "Kleinkunst" genannt - klein aber ist das Kabarett in Österreich und in der Schweiz schon lange nicht mehr. Zwei illustre Vertreter dieser großen Kunst sitzen auf dem Transflair-Podium. Beide wurden sie mit dem "Salzburger Stier", dem renommiertesten Kabarett-Preis im deutschen Sprachraum, ausgezeichnet, beide sind sie Meister der großen und kleinen Geschichten und ihres Aberwitzes. Dem Publikum brachten sie Lachen, Lächeln, Schmunzeln, Erheiterung und ein paar Antworten auf die Fragen, was Satire und Kabarett heute vermögen, ob sie nicht ständig von der Wirklichkeit übertroffen würden und wie sie selbst, Leo Lukas und Christoph Simon, in ihrem Schaffen vorgehen.

Weltreise durchs Seniorenheim

Er suche nicht Erfolg, sondern Erfüllung, nicht Anerkennung, sondern Alkohol, sagte Christoph Simon einmal. Er lebt in Bern, nicht nur in der Schweiz ist der tolle Prosaautor ausgebucht. Sein erster, 2001 erschienener Roman Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen (im Taschenbuch 2018) und die Fortsetzung Planet Obrist (2005) sind ein satirischer Wilhelm Meister von heute. Den schrägen Schuljahren folgen die Wanderjahre, in denen der Titelheld mit seinem Freund, dem Dachs MC, zu Fuß von Bern nach Zürich, Innsbruck, Ljubljana usw. reist. In Bewegung ist auch Spaziergänger Zbinden (2010): Ein Zivildiener begibt sich mit einem 87-Jährigen auf Weltreise - durchs Seniorenheim. Und ebenso wunderbar schräg ist Viel Gutes zum kleinen Preis (2011), ein satirisches Lebenshilfebuch, das wesentliche Antworten gibt: Wie wird man spielend reich, wie macht man sich unsichtbar, wie pflegt man Feindschaften und was passiert, wenn es in der Hölle schneit.

Zweimal wurde Christoph Simon Schweizer Meister im Poetry Slam, dann gewann er in Olten den Kabarettwettbewerb und ging höchst erfolgreich mit dem eigenen Solo Wahre Freunde auf Tournee. Konsequent hieß sein zweites Programm Zweite Chance, und nun steht Simon mit Der Richtige für fast alles auf den Bühnen, lässt einen Vagabunden und eine Karrierefrau miteinander sprechen. Humor erstehe aus Charakter, sagt er, "oder wie bei mir aus Charakterschwäche."

69 x Perry Rhodan

Über Auftritte sprach kürzlich Leo Lukas und sagte: "Es ist ein eigenartiges Gefühl. Grundsätzlich finde ich es entzückend, aber je näher der Abend kommt, desto mulmiger wird mir." Transflair meinte er damit nicht. Leo Lukas stammt aus dem weststeirischen Kohlenrevier, er war Reporter, Journalist bei der Kleinen Zeitung, die ihn schon dreimal zum "Steirer des Tages" erkoren hat, ungefähr die höchste Auszeichnung in diesem Bundesland. Wie Christoph Simon war er viel unterwegs, hat Reisereportagen geschrieben und ist einer der meistgelesenen Romanciers im deutschen Sprachraum: Sechsundneunzig Perry-Rhodan-Heftchenromane hat er bislang verfasst. Für seine mehr als zwanzig Programme seit Sanfte Panik (1983) wurde er mit dem Österreichischen Kabarettpreis ausgezeichnet. Fremde (teeren und) Federn ist der Titel der aktuellen Auftritte mit Simon Pichler, einer illustrierten Weltgeschichte der Komik mit dem interessanten Hinweis: Bereits im Buch Exodus im Alten Testament sei das Vorurteil zu finden, dass Zugewanderte faul seien und trotzdem den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen würden. Gesammelte Texte und Lieder sind 2018 im Großen Leo Lukas Lesebuch (mit Noten) erschienen.

Er habe eigentlich immer Kabarettist werden wollen, nur die längste Zeit nicht gewusst, dass es diesen Beruf gibt. Von einem Deutschlehrer sei er im Gymnasium sehr gefördert worden, der habe ihn mit zwölf Jahren erstmals auf eine Bühne gestellt, "und mir hat das riesigen Spaß gemacht". Dann veröffentlichte er "ernsthafte Literatur"; in der großen Stadt Graz, die sich damals "Weltmetropole der Dichtkunst" nannte, verleideten ihm "prominente promovierte Germanisten" dieses Studium, sodass er Theologie inskribierte, zur Zeitung kam und schließlich zum Kabarett. Die Aussage vom "mulmigen Abend" betraf eine Benefizveranstaltung zu 60. Geburtstag, bei der im Wiener Stadtsaal viele Kollegen wie Josef Hader und Gunkl auftraten - der Erlös ging an das Integrationshaus. Politisch engagierte er sich nicht nur auf der Bühne, so war er seinerzeit bei der Gründungsversammlung der steirischen Grünen dabei.

Weinkeller mit Mikrofon

Ob alle diese Informationen in Zeiten "alternativer Fakten" richtig seien? Er wolle einfach klarstellen, sagt Christoph Simon: "Ich bin in friedlicher Absicht gekommen." Im Gegensatz zu Leo Lukas habe er gar nicht gewusst, dass es das Kabarett gebe, die "Kleinkunst" im Keller, in der Schweiz seien das ja "mit Mikrofon ausgestattete ehemalige Weinkeller". Er habe sich einfach als Schriftsteller verstanden, die Ausdrücke "Satire, Farce" und so würden ihn überfordern. "Ich schreibe über meine Probleme und wie ich von ihnen davonlaufe, oder meine Figuren versuchen Lösungen für Probleme zu finden, die sie von mir haben." Während eines Schreibstipendiums in New York habe er nichts geschrieben, "na ja: New York", da sei er "aus purer Panik, in der Schweiz ohne Buch dazustehen", auf den Poetry Slam gekommen. Das habe sich dann von den sechs Minuten auf ein Neunzig-Minuten-Programm gesteigert.

Von seinen literarischen Anfängen an ist freilich Christoph Simon ein Meister der trocken satirischen Sätze, etwa in Franz: "Ich bin zweimal in meinem Leben in der Kirche gewesen, das erste Mal wollten sie mich ersäufen." Er schreibe seine Programme, dabei gehe er von einer Frage aus, die ihn nicht loslasse. Dann gehe er in den Wald, lerne auswendig, denn das Spontane hasse er. Einen Science-Fiction-Roman vermöge er nie zu schreiben, sagt er zu Leo Lukas: "Woher nimmt man die Ideen dafür?" Das Gute an der Perry-Rhodan-Serie, erhält er zur Antwort, sei es, dass dank eines gutmütigen Chefredakteurs viel Persönliches einfließen könne.

Mixed Show

Wie sich das Kabarett seit den achtziger Jahren verändert habe, vermag Leo Lukas zu sagen. Heute gebe es ungleich mehr junge Kabarettisten, "und zum Glück: Kabarettistinnen", die es wegen der großen Konkurrenz viel schwerer hätten als ihre älteren Kollegen. Nunmehr gehe es stärker in Richtung "Mixed Show", weil damit mehr Publikum angesprochen werde. Ab Ende der siebziger Jahre habe die Chance einer freien, selbstverwalteten Kulturszene vieles ermöglicht. Der Erfolg sei jedoch wenig von den gesellschaftlichen Zuständen abhängig, das Wort "Schlechte Zeiten, gutes Kabarett" habe nie gestimmt.

Für ihn, sagt Christoph Simon, hat sich "diese neue Welt" erst aufgetan, nachdem er selbst damit begonnen hatte - da habe er erkunden wollen, wie Andere auftreten, und gemerkt, am wohlsten sei es ihm dort, "wo man merkt: Der Künstler ist bei sich und macht nicht etwas, das wir nicht spüren." Es sei schwierig zu sagen "man ist bei sich", denn die Bühne sei "der unnatürlichste Ort: Niemand unterbricht mich." Na ja, ruft Leo Lukas, manche im Publikum würden das Konzept Rhetorische Frage nicht verstehen. "Ich rede einfach wahnsinnig schnell", erklärt Christoph Simon, "ich stehe ja noch am Anfang und warte mit Schaudern auf all die Erfahrungen, die auf der Bühne noch bevorstehen."

Im Großen Leo Lukas Lesebuch heißt es:
Sicher entsteht Satire nicht selten aus dem Blues. Ich stelle mich dem nervigen, belastenden, kaum zu bewältigenden, scheinbar universalen Chaos, indem ich mich darüber lustig mache.
Davon gibt er auf dem Transflair-Podium gesprochene und gesungene Kostproben mit Gitarrenbegleitung, unterbrochen nur vom Lachen des Publikums.

Die gesellschaftspolitischen Aspekte führen zur Frage, ob denn in unserer Zeit nicht die Satire von der Wirklichkeit übertroffen werde. Leo Lukas würde sich allerdings nicht als Politkabarettist bezeichnen, Realsatire sei ganz schwierig, es gelte vielmehr zu verdichten. Er vermöge nicht auf Zuruf oder Auftrag zu arbeiten: "Mir ist lieber, es poppt was auf"; es müsse ihn schon persönlich stark betreffen.

Darf man einen Freund entführen?

"Und was betrifft dich in deinem Lied am Kasperl, der Amok läuft", fragt Christoph Simon, "hattest du eine Wut, die raus musste?" In diesem Fall sei die Melodie zuerst da gewesen, antwortet Leo Lukas, und er habe sich gedacht, das sei eigentlich eine Kasperl-Melodie; der Text dazu sei ihm dann recht schnell eingefallen. Er, sagt Simon, halte sich mit dem direkt Politischen zurück, "es riecht ja zwei Kilometer gegen den Wind aufgesetzt, wenn man eine Botschaft reinbringen will". Er schreibe über seine nächsten Leute, die natürlich ihre Ansichten haben, sodass jede Geschichte irgendeinen politischen Charakter habe. Man müsse ihn nicht größer machen, als durch das Alltagsverhalten gegeben sei. Beim Schreiben habe er eher Atmosphäre im Kopf, zum Beispiel "Hilfe" und die Frage, wie weit sie gehen dürfe: "Darf man einen Freund entführen, um Lösegeld von seinen Eltern zu erpressen? Dazu ist ja Freundschaft da, dass man einander entführen kann."

Der Auftritt von Christoph Simon liefert zum Abschluss die Probe aufs Exempel, etwa wenn er erzählt: "Dreißig Tage und dreißig Nächte lang hat es geregnet, und dann ist die Arche Noah gesunken, wegen Herr und Frau Specht." Seine Sätze, seine Fragen, sein vielschichtig verknüpfter Text und die trocken verschmitzte Art bringen zum Lachen, zum Denken und zum Lachen. "Wer bin ich", ist eine leitmotivische Frage, die Antwort lautet: "Ein Poet". Bei diesem, dem 66. Transflair waren zwei gewitzte Poeten zu hören.