©C.Luger, H.Lackinger, R.Ruiss
Ein Fest für Julian Schutting
12. Oktober 2022
Anlässlich seines Geburtstages beehrt sich das Literaturhaus NÖ, dem
unbestrittenen Meister von Lyrik und Prosa, dem ausgewiesenen Kenner
und Liebhaber von Musik, dem Dichter mit dem fotografisch ausgebildeten
Blick, einen Abend ausrichten zu dürfen.
Julian Schutting, mit zahlreichen renommierten Preisen für sein Werk
ausgezeichnet, darf zusätzlich zu diesen im Jahr 2022 den H.C. Artmann-
Preis der Liste seiner Würdigungen zuzählen.
Schuttings umfangreiches Werk umfasst mittlerweile mehr als 60 Titel und ist in höchstem Maß geprägt von einem poetischen Grundgestus, der sich auch in der Prosa widerspiegelt. Der Autor, zwar hochgeschätzt, aber immer bescheiden an den Rändern des "großen Literaturbetriebs" zugange, beweist über die Jahrzehnte eine ebenso souveräne wie kontinuierliche Auseinandersetzung mit Dichtung, die er in seiner unverwechselbaren Sprache präsentiert. Sein jüngster Gedichtband Winterreise (Otto Müller, 2021) darf als brillantes Kleinod in der Reihe seiner präzisen, geschliffenen Arbeiten gesehen werden.
Julian Schutting selbst präsentiert kurze Auszüge aus Winterreise und - auf ausdrücklichen Wunsch des Dichters - liest ein weiterer Meister des (lyrischen) Fachs, der H. C. Artmann-Preisträger des Jahres 2020, Musiker und Oswald von Wolkenstein-Nachdichter Gerhard Ruiss, aus Das Los der Irdischen. Szenen und Dialoge (Literaturedition NÖ 2022).
Der textaffine Multiinstrumentalist, ehemalige Sängerknabe, Grundschullehrer mit drei Lehrämtern, Musikkapellmeister und Komponist Reinhold Ruiss (jüngste CD: Auden: Legend - Vertonungen von Gedichten des W. H. Auden) hat sich intensiv mit Schuttings Winterreise auseinandergesetzt und umspielt - im besten Wortsinn - die Gedichte des Schriftstellers.
Julian Schutting anlässlich der Verleihung des
H.C. Artmann-Preises 2022
"Ich habe Gott sei Dank keine Fantasie. Ich bin Rationalist durch und durch."
Dieser Satz fiel in einem Gespräch mit dem apa-Journalisten Wolfgang Huber-Lang im Sommer 2022.
Das Zitat mag irritieren, denn immerhin stammt es von einem der wichtigsten und produktivsten Dichter der österreichischen Gegenwartsliteratur - von Julian Schutting.
Ein Dichter ohne Fantasie - wie kann das gehen? Nun, es geht ganz offensichtlich ganz ausgezeichnet, und die Aussage bringt auch gleich mehreres auf den Punkt: Zum einen, dass Julian Schutting immer für eine Überraschung sorgen kann - und zwar ohne jeden Anflug von Koketterie - zum anderen, dass er zur Dichtung ein klar umrissenes Verhältnis hat. Ronald Pohl definiert in einem Gespräch mit dem Autor Schuttings Sätze als "metrisch exakte Präzisionsaufzeichnungen" - und diese Betrachtung darf als Raster über sämtliche Genres des Schuttingschen Oevres gelegt werden. Der Dichter ist immer anwesend - auch in der Prosa, im dramatischen Text - auch im Bild, das sich als Foto dazustellt - nicht den Text illustrierend, aber einem speziellen, aufmerksamen Blick verpflichtet, der neben dem Offensichtlichen das nicht gleich ins Auge Fallende aufzuspüren imstande ist, der das Poetische im vorgeblich Banalen erkennt - da benehmen sich beispielsweise schlicht nebeneinanderstehende Bäume plötzlich einander erotisch zugetan, da entstehen auf rissigem Asphalt, der mit Teer geflickt wurde, nicht nur Muster, da bilden sich Landkarten unbekannter Welten ab - um nur zwei Beispiele zu nennen, die in einer vor Jahren im Literaturhaus NÖ installierten kleinen Fotoausstellung mit Arbeiten von Julian Schutting das Publikum in Staunen versetzten.
Selbstverständlich muss sich der Betrachter genau wie die Leserin einlassen auf das, was Schutting in seinem vielfältigen Schaffen anbietet. Da ist es nicht getan mit flüchtiger Beschäftigung, einem Drüberschauen, Drüberlesen. Hier legt einer Werke vor, die fordern und auffordern.
Völlig logisch also, dass ein poetisches Konzept dieses Dichters - unabhängig davon, welchen Topos er behandelt - kompromisslos jede Art von Wortgeklingel und Schwurbelei nicht nur ablehnt, sondern geradezu verabscheut. Und der Ziseleur der Sprache, der wieder und wieder den Meißel ansetzt, bis das Werkstück seinem hohen Anspruch genügt, wird von Ronald Pohl im 2012 erschienenen Porträt (Der Standard) wie folgt zitiert:
"Die Lyrik ist mittlerweile die Domäne der Dummen. In der Lyrik wird heute so beschränkt geschrieben wie auf keinem anderen Gebiet. Wann das begonnen hat, weiß ich nicht. Wahrscheinlich nach der Bachmann."
Leider muss man dieser Einschätzung auch zehn Jahre später nach wie vor recht geben - jedenfalls in weiten Teilen. Beschäftigt man sich mit dem aktuellen Feld der Lyrik, kommt man zur traurigen Binsenweisheit, dass vielfach die Meinung vorherrscht, "man kann Gedicht" - allerdings ohne sich je ernsthaft mit dieser Königsdisziplin auseinandergesetzt zu haben - was unter anderem auch bedeuten würde, Lyrik zu lesen.
Offensichtlich also, warum einem Gegengewicht zur Dummheit, das Julian Schutting so elegant und souverän anbringt, jede erdenkliche Ehre anzutun ist.
Und neben der Ehre ist auch der Dank dafür angebracht, dass der Meister in seinen Schreibklassen jene ermutigt / ermutigt hat, die sich als gute Schüler erweisen - und so möchte ich Christoph W. Bauer zitieren, der in einem Text anlässlich des 80. Geburtstags von Julian Schutting schreibt:
"(...) und ich laufe zurück in den Jahren, komme an im November 1996, ein Wetter, wie es sich gemeinplatzträchtig in Büchern tummelt, mulmig ist mir, habe mich überredet an einer Schreibwerkstatt teilzunehmen, und schon geht es in die Klassen, trotte ich hinter den anderen Teilnehmern her, bin der jüngste, ein Trumpf, denke ich, wenn es hart auf hart kommt, lässt sich die Unzulänglichkeit meiner Texte begründen, dabei habe ich gut zehn Jahre Schreiberfahrung. Schreiberfahrung, dass ich nicht lach, schaue scheu zum Referenten, der mich mit ruhigen Blicken misst, das ist das Erste, was ich von ihm lerne: Hinsehen".
Dass der Schüler, der sich nach wie vor als Schreiberlehrling des Julian Schutting sieht, sehr gut gelernt hat, ist evident. Vielleicht bestand die wichtigste Lektion neben dem Hinsehen im Trainieren des Weglassens von Überflüssigem und allzu Geläufigem.
Und was man von Schutting weiters erfahren kann - und der Terminus ist kein Versehen, denn "lernen" kann man das wahrscheinlich nicht - ist die Art und Weise, wie er sich seit jeher im "großen Literaturbetrieb" bewegt. Seit Beginn seiner Publikationstätigkeit war er wesentlich, zunehmend hochgeschätzt, aber immer bescheiden an den Rändern zugange, egal welche renommierte Auszeichnung ihm zuteil wurde. Und stets ist er seinem Ansatz, sich kontinuierlich präzise mit Sprache auseinanderzusetzen, treu geblieben und hat es über die Jahrzehnte zuwege gebracht, sein Niveau nicht nur zu halten, sondern in immer lichtere Höhen zu treiben.
Neben seiner Bescheidenheit lässt sich Julian Schutting auch als solidarischer, verlässlicher Kollege charakterisieren, der sich weder zu gut ist, auch für kleine, weniger bekannte Publikationsstätten Beiträge zu verfassen, noch käme es ihm in den Sinn, beispielsweise im Rahmen einer Gruppenlesung die erbetene Lesezeit zu überschreiten - man hat einen Schutting schon mitten im Satz abbrechend erlebt: Lesezeit um, fertig. Auch hier keine Spur von Koketterie - es geht erneut um Präzision und Korrektheit - und vielleicht, wenn diese Spekulation erlaubt ist, auch um ein Augenzwinkern, denn Julian Schutting ist nicht nur charmant, er kann auch umwerfend witzig sein. Ohne ins Anekdotische abgleiten zu wollen, darf an dieser Stelle vielleicht ein winziges Beispiel angeführt werden: Wer im Genuss steht, mit dem Dichter in guter alter Briefkorrespondenz zu stehen, kann durchaus neben der originellen Wahl des jeweilig als Briefpapier verwendeten Materials mit einem Kommentar neben dem Postwertzeichen amüsiert werden, wenn da, ordentlich mit einem Pfeil drauf verweisend, steht: "Besonders häßliche Briefmarke."
A propos old school: Es ist faszinierend, wie - auch hier wieder in stoischer Konsequenz - Julian Schutting es versteht, sich dem mittlerweile schon terroristische Dimensionen erreichenden Hype der Neuen Medien zu entziehen. Nicht einmal ein Fernsehgerät kommt dem Dichter ins Haus. Ein Festnetzanschluss und ein Anrufbeantworter (der selbstverständlich nicht einmal in der Dichterwohnung dazu zu bewegen ist, Anrufe auch tatsächlich zu beantworten) tun es allemal. Und natürlich ein Radio. Mit dem vorhin angesprochen Witz macht Julian Schutting seinen Standpunkt zur schönen neuen Welt der angeblich smarten Gesellschaft deutlich, wenn er, eingeladen zu einem Text, der sich im Rahmen einer kleinen Anthologie mit Vorstellungen von der Zukunft befasst, konkret mit NÖ im 21. Jahrhundert, u.a. formuliert:
"so gibt es, wie zuletzt vorm gesamtösterreichischen Staatsvertrag, in St. Pöltner, Amstettner, Wiener Neustädter, ja auch in Kremser Kaffeehäusern wieder Tischtelephone: man dreht an der Kurbel des Telephonapparats, nimmt dem Hörer von der Gabel und wählt auf der Drehscheibe die Tischnummer der Dame, von der man an ihren Tisch gebeten werden möchte, für ein baldiges gemeinsames Weggehen (...) Wir urjungen Geburtsjahrgänge jedenfalls haben an den Retro-Zeiten Gefallen gefunden: Anstandsunterricht, Schiefertafel und Griffel, dann erst Tintenfaß; Stummfilme, Telegramme statt Handy-Getratsche, Schaffner mit Zwickzange, Personenzüge II. und III. Klasse. Smartphone-Digitalistisches? weg damit, her mit einer Box-tengor der Firma agfa. Schriftsetzer, Bleisatz, Aufziehuhren!"
Nun möge man aber keinesfalls dem Irrtum aufsitzen, dass einer, der sich nicht mit Handygequatsche und anderem Gezwitscher befassen mag, einer Weltabgewandtheit huldigen würde - ganz im Gegenteil. Julian Schutting ist stets gut informiert, neugierig und interessiert. So ist es auch kein Zufall, wenn ein anderer, der den soeben reklamierten Beruf des Schriftsetzers noch gelernt hat, den von ihm hochgeschätzten Julian Schutting zu einer aktuellen Bestandsaufnahme dessen, was österreichische Schreibende zur Welt zu sagen haben, einlädt - im vorliegenden Fall zu einer online-Präsentation des Mediums VOLLTEXT unter dem Titel hier und heute. Schutting liefert einen perfekten Text, natürlich hat er Mittel und Wege sich zu beteiligen - auch wenn er nicht selbst per e-mail sendet.
Der gelernte Schriftsetzer und Reprofotograf darf in diesem Kontext selbstverständlich nicht ungenannt bleiben, denn der H.C. Artmann-Preisträger des Jahres 2020, der Dichter Gerhard Ruiss, hat zum Dichter Schutting u.a. anzumerken:
"Hätte man gern einen Beitrag von ihm, geht das nur, indem man ihn persönlich kontaktiert. Man hält diesen Beitrag, vorausgesetzt, er sagt zu, schneller in den Händen als über eine E-Mail-Korrespondenz oder eine andere Internetverbindung. Mit Gegnerschaft zu digitalen Medien hat das nichts zu tun, sie gehören einfach nicht zu seinem Leben, so wie er andererseits persönlichen Begegnungen und direkten, unmittelbaren Wahrnehmungen großes Gewicht beimisst. (...) Er misstraut jeder Folklore und jedem gedankenlosen Appell (...) Das vor gutem Willen Triefende bis Verlogene hat in ihm einen entschiedenen Gegner. (...) Seine politischeren Gedichte sind von einer Trag- und Reichweite, dass es kaum möglich ist, sie nicht als aktuell zu empfinden."
Gerhard Ruiss verortet eine der Haupteigenschaften des Kollegen in der Zuschreibung "Zurückhaltung", die auch als Höflichkeit dekodiert werden kann, was darauf hinausläuft, dass diese "(ihm) gebietet, seinen Unwillen gegen Blödheiten aller Art immer anspruchsvoll auszudrücken (...) nie belehrend, nie bevormundend - und manchmal auch nur, indem er, ohne großes Aufsehen darum zu machen, einfach geht."
Gehen ist ein gutes Stichwort, denn Über das Vergnügen am Gehen gibt es - man möchte sagen - selbstverständlich - Texte von Julian Schutting.
Einer davon, im Sommer des vergangenen Jahres in der Literaturzeitschrift etceterea unter dem Generalthema "Waldgang" publiziert, gibt hinreißend Auskunft über den Gehenden, der sich's verbitten möcht, "zu einem Spaziergänger, einem matten Stadtflaneur degradiert zu werden". Schuttings Ansatz im O-Ton:
"was mich vor allem antreibt, mich durch die Weinberge wienerwaldwärts treiben zu lassen oder dem Donaukanal und Wienfluß entlang bis zum Naschmarkt zu flanieren, ist die Erfahrung, dass sich bei kopfleerem Vor-mich-hin alles das, was sich am Abend, in der Nacht davor scheinbar zusammenhanglos hingeschrieben hat, im Unterirdischen von selbst als zusammengehörig zu organisieren beginnt (...) nie einen Notizzettel mit mir zu führen aus Aberglauben, dass mir dann nichts Aufschreibenswertes zu- oder einfiele, und so muß ich ich dann meinen Augen ja doch Zugetragenes in Stichwörtern bei mir repetieren, bis ich nach zirka drei Stunden bei mir zuhaus angelangt bin. es sei denn, ich komme an einer Bank, einem Postamt vorbei und notiere es mir auf einem der dort aufliegenden Erlagscheine. eine Einbildung mag sein, dass sich mein Schrittmaß der Struktur der von mir memorierten Satzperioden anpaßt."
Und so stellt sich ein Bild ein bei denen, die sich halt, hin und wieder - pardon - der Fantasie oder vielleicht auch besser: der Imagination, gespeist aus den vielen Mosaikstücken rund um die Person eines ganz besonderen Dichters, bedienen müssen, und es lässt sie den Dichter bei seiner Nachtarbeit sehen, Am Schreibplatz, die Dunkelheit des Himmels vor dem Fenster unterlegt von klassischer Musik, die dem Liebhaber und Kenner auch dieser Disziplin als Arbeitsmusik zupaß kommt.
Es ist ein Bild von vollkommener Stimmigkeit, denn Julian Schutting ist ein Gesamtkunstwerk, er ist ungeteilt. Selbst Menschen, die nicht zu engagierten Lesern, dichtungsaffinen Leserinnen zählen, erfassen erfahrungsgemäß problemlos und in aller Deutlichkeit, dass ihnen bei einem zwanglosen Gespräch, einer flüchtigen Begegnung einer gegenübersteht, der einen zwar unprätentiösen aber höchst sorgfältigen Umgang mit der Sprache pflegt - immer.
Julian Schuttings Werkliste aufzuzählen, würde, berücksichtigte man nicht ausschließlich seine Einzelpublikationen, sondern darüberhinaus alles, was der Autor in nunmehr 50jähriger Schreibarbeit veröffentlicht hat, lange dauern. Angemerkt sei deshalb nur kursorisch, dass sich sein Werk u.a. im Wiener Literaturhaus, im Österreichischen Literaturarchiv sowie im Archiv der Zeitgenossen der Donauuniversität Krems befindet.
Explizit hingewiesen muss natürlich auf zwei aktuelle Bücher werden - auf den großartigen Gedichtband Winterreise (Otto Müller Verlag 2021), versehen mit einem Nachwort von Gerhard Zeillinger - ein absoluter Kenner des Schutting-Universums sowie auf den im Oktober erscheinenden Band Das Los der Irdischen. Szenen und Dialoge (Literaturedition NÖ).
Hochverehrter Julian Schutting, im Grunde kann jede Würdigung im Angesicht Deines quantitativen wie qualitativen Oevres nur an der Oberfläche schaben, zu wenig sein, weil nichts an den O-Ton heranreichen kann.
In jedem Fall möchte ich mich - auch im Namen des Literaturhauses NÖ und der edition aramo bei Dir herzlich bedanken - vom ersten Tag des Hauses hast Du uns unterstützt und bist ein unverzichtbares Mitglied unseres Vorstandes, der edition hast Du wunderbare Beiträge zukommen lassen - und wir hoffen natürlich, dass beides so bleibt.
Ach ja - zum Bleiben: Der schöne Tag, der bleibt - mit dieser Zeile durften wir dich titelgebend zitieren auf einem Band der edition, der Dir gewidmet ist.
Ich glaube, ich darf im Namen aller Beteiligten sagen: Wir hoffen, dass auch der heutige Tag/Abend einer sein darf, der bleibt, der bei Dir bleibt.
Lieber Julian Schutting - im Namen von vielen darf ich herzlich zur Verleihung des H.C. Artmann-Preises 2022 gratulieren.
Sylvia Treudl
ORT:
Literaturhaus NÖ
Steiner Landstraße 3
3504 Stein/Krems
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BEGINN: 19.00 Uhr